Die diesjährige Tarifrunde wurde von der IG Metall und ver.di eröffnet. Damit dürften die Weichen für den Rest des Jahres weitgehend gestellt sein, denn das sind die beiden größten deutschen Gewerkschaften. Jede Tarifrunde ist irgendwie ungewöhnlich, weil anders als die vorhergehende. Aber das Krisenjahr 2009 hat natürlich besonders lange Schatten auf die Verhandlungen geworfen. Die Presse rieb sich verwundert die Augen, warum die beiden großen Gewerkschaften mit so unterschiedlichen Forderungen in den Ring steigen: ver.di forderte 5% mehr Lohn und zusätzliche Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst, die IG Metall dagegen hat überhaupt keine Lohnforderung aufgestellt, sondern ist mit einem Beschäftigungssicherungspaket angetreten.
Realitäten
Entsprechend waren dann die Reaktionen in der Presse: hie die 'gute' IG Metall, die „Realität anerkennt“, dort die böse ver.di mit ihrer „Taktik der Maßlosigkeit“ (Zitate beispielhaft aus der Rheinischen Post). So als wäre nicht jedem klar, dass in den beiden Branchen völlig unterschiedliche Voraussetzungen herrschen. Dass es der IG Metall an Kampfkraft mangelte angesichts von (in der Spitze) 1 Million Kurzarbeitern in 2009, konnte jeder sehen. Im Südwesten war zu Beginn der Verhandlungen noch jede dritte MetallerIn in Kurzarbeit. Deshalb haben sich die Mehrzahl der Mitglieder in der Vorfelddiskussion für Arbeitsplatz sichernde Elemente in den Tarifverhandlungen ausgesprochen.
Schnauze voll
Bei ver.di dagegen hatten die Mitglieder die Schnauze voll, nachdem ihre Löhne ein Jahrzehnt lang der Preisentwicklung hinterher gehoppelt sind. Auch wenn es im Öffentlichen Dienst in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen stetigen Jobverlust gegeben hat, ist doch ein Arbeitsplatzverlust wegen der Wirtschaftskrise deutlich unwahrscheinlicher als in der Metallbranche, die mit einem 30%igen Umsatzrückgang kämpft – oder hat irgendjemand davon gehört, dass 2009 30% der Kindergärten, Krankenhäuser, Buslinien etc. geschlossen wurden? Die KollegInnen waren kampfbereit und haben sich an den ersten Warnstreiks entsprechend beteiligt. Und die befürchtete Aufregung in der Öffentlichkeit angesichts der 'maßlosen' Forderungen blieb aus. Viele Menschen, die als Eltern ihre Kinderbetreuung kurzfristig privat organisieren mussten oder nicht mit dem Bus zur Arbeit kamen, sympathisierten mit den Aktionen, die letztendlich ja auch mehr Geld für sie selbst bedeuten können.
Überrascht hat dann das Ergebnis der Verhandlungen für den Öffentlichen Dienst. Obwohl ver.di recht zügig Warnstreiks eingeleitet hat und dann die Verhandlungen für gescheitert erklärte, hat sie das Ergebnis der Schlichtung sofort angenommen, obwohl die 1,06% aufs Jahr gerechnet vermutlich nicht einmal für eine Reallohnerhöhung reichen. Und die anderen Ergebnisse sind auch nicht gerade berückend: einen höheren Leistungsentgeltanteil will eigentlich niemand außer der Arbeitgeberseite und die Übernahme der Auszubildenden „bei Bedarf“ ist nicht mehr und nicht weniger als schon immer gängige Praxis war. Die Gewerkschaftsspitze war sich offensichtlich in der konkreten Streitsituation ihrer Sache nicht mehr so sicher.
Für die Zukunft lernen
Größter Unterschied der Verhandlungen war, dass die Enttäuschung in der Metallindustrie gar nicht groß sein konnte, weil ja schon gar keine Lohnforderung gestellt wurde. Dass die 2,7% mehr aussehen als bei ver.di ist eher ein optisches Problem – die 1,4% im Jahresschnitt könnten mit Glück aber reichen, um die Inflation auszugleichen. Wie viel das Beschäftigungssicherungspaket tatsächlich wert ist, wird sich vermutlich erst zum Jahresende herausstellen, wenn bei vielen Metallbetrieben die konjunkturelle Kurzarbeit ausläuft. Dass die IG Metall sich um das Thema Arbeitszeitabsenkung erst in so einer schwachen Ausgangslage kümmert, ist wohl der größte Fehler dieses Abschlusses. Es wird sich zeigen, ob die Organisation in Zukunft daraus lernt. Besonders besorgt sollten die Metaller angesichts der vielen befristet Beschäftigten und der Leiharbeiter sein, die gleich zu Beginn der Krise ihre Arbeitsplätze verloren haben. Hier gab es für Betriebsräte und Gewerkschaft keine Möglichkeit einzugreifen. Wenn es nicht gelingt, das vorhandene Arbeitsvolumen durch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit dauerhaft auf mehr KollegInnen zu verteilen und die Beschäftigten in ungesicherten Arbeitsverhältnissen (Leiharbeit, Befristung) zu organisieren und mehr Rechte zu erkämpfen, dann wird die Bedeutung und Kampfkraft der Gewerkschaft deutlich sinken.
Mitmachen
In beiden Gewerkschaften wurden die Abschlüsse gespalten aufgenommen, wobei die Befürworter dieser moderaten Abschlüsse mit Schwerpunkt auf der Arbeitsplatzsicherung sicher in der Mehrzahl sind. Aber in beiden Gewerkschaften gibt es Magengrimmen angesichts von Verhandlungen, die letztlich allein vom Vorstand ohne wesentliche Beteiligung der Basis geführt wurden. Angesichts der laufenden Diskussionen über die zukünftige Organisationsstruktur der großen Gewerkschaften kann dies sicher nicht als positives Beispiel gelten – mal ganz unabhängig vom Ergebnis. Die Mitglieder der großen Gewerkschaften sollten sich fragen, wie sie sich effektiver in diesen Kernbereich der Gewerkschaftsarbeit einbringen wollen.