Wenn Sartorius in den letzten Monaten in der Presse erwähnt wurde, dann meistens mit einem bewundernden Unterton. Den Vogel schoss vor einem Jahr ein Artikel in den Börsennachrichten der ARD ab: „Eine Aktie zum niederknien“, titelte boerse.ard.de damals – ein Jahr später spendiert die Börsenredaktion immerhin ein Fragezeichen, weil der Aktienkurs seit dem Rekordhoch im März etwa 10% niedriger liegt. Das ist verständlich, denn für einen Aktienbesitzer, der pro Aktie den Höchstpreis von mehr als 90 Euro gezahlt hat, ergibt sich bei einer Dividende von 0,94 Euro gerade mal ein Sparbuchzinssatz. Die richtig dicken Gewinne dürften also Börsianer gemacht haben, die z.B. vor einem Jahr Aktien gekauft haben und diese inzwischen wieder versilbert haben. Geschickte Zocker konnten so ihr Kapital in einem Jahr glatt verdoppeln. Im Göttinger Tageblatt wurde von rührenden Szenen auf der Aktionärsversammlung berichtet: zufriedene Aktienbesitzer haben Lobesverse auf Vorstand, Aufsichtsrat und Mitarbeiter vorgetragen.
Und auch die Stadt Göttingen kann zufrieden sein, nachdem Sartorius seine Bauplanung für die nächsten Jahre in der Presse verbreitet hat. Auf dem Siekanger soll ein neues Lager- und Versandzentrum entstehen – ein kleines Trostpflaster auf die Fehlschläge bei dem Versuch, dort ein großes Logistikzentrum anzusiedeln. Und weitere Investitionen am bisherigen Standort im Industriegebiet sollen die Firma auf Wachstumskurs halten. Zur Zeit ist dieses Wachstum allerdings auf die neu zugeschnittene Sparte „Bioprozess“ beschränkt. Im ersten Quartal 2013 erhöhte sich der Auftragseingang in diesem Bereich um 24% – allerdings gibt es weiter Probleme, die Kunden auch wirklich in diesem Maße zu beliefern. In Zahlen ausgedrückt: der Umsatz stieg nur um ca. 4%. In der Sparte „Laborprodukte“, zu der die Laborwaagen, die neu hinzugekauften Laborpipetten der Marke „Biohit“ und die Laborfilter gehören, sieht es nicht so rosig aus: Zwar stieg der Umsatz um 3,4%, aber der Auftragseingang war über 10% schlechter als im Vorjahr. Das könnte zu Problemen in den nächsten Monaten führen, wenn in diesen Bereichen nicht genug zu tun ist. Und die dritte Sparte „Industriewaagen“ zeigt ein ähnliches Bild: auch hier ist der Auftragseingang um 10% zurückgegangen und der Umsatz schwächelt ebenfalls.
Allerdings fühlen sich die ca. 70 KollegInnen aus der industriellen Wägetechnik sowieso allenfalls noch geduldet in der großen Sartorius-Familie. Seit einem halben Jahr versucht der Vorstand intensiv, die Industriesparte zu verkaufen. Den Gerüchten zufolge war dies bisher nicht mit Erfolg gekrönt. Für die KollegInnen ist das natürlich eine unangenehme Situation, denn sie wissen nicht, was in den nächsten Jahren aus dem Bereich werden wird, in dem sie beschäftigt sind. Und es bleibt die bange Frage, was ein Käufer mit dem Bereich vorhat, ganz zu schweigen von der Frage, was passiert, wenn sich kein Käufer findet. Die schlechteste Möglichkeit, dass der Bereich einfach fallen gelassen wird, ist aber unwahrscheinlich – immerhin hat die Sparte im letzten Jahr noch einen Gewinn von 10 Mio. Euro erwirtschaftet.
Für die anderen KollegInnen im Bereich Bioprozess und Laborprodukte ist die Situation anders: viele können vor Arbeit kaum aus den Augen gucken. Im letzten Jahr wurde die betriebsinterne Datenverarbeitung umgestellt und bis jetzt scheinen die Produktions- und Liefervorgänge noch nicht wieder richtig zu klappen. Hinter vorgehaltener Hand sagen viele KollegInnen, dass man auf die mahnenden Stimmen von denen, die sich mit diesen Vorgängen auskennen, nicht ausreichend gehört hat.
Wenn man von außen solche Geschichten hört, dann kommt es einem doch so vor als wenn die Sartoriusvorstände seit Jahren auf der Überholspur unterwegs sind und dabei vergessen, dass man gelegentlich auch mal eine Pause auf einem Rastplatz machen muss, wenn man vermeiden will, dass dabei Menschen unter die Räder kommen.