Eine Dummheit?

Da reibt sich manch einer die Augen, wenn er oder sie in die Zeitung schaut und feststellt, dass in regierungsoffiziellen Kreisen über die Einschränkung der Organisationsfreiheit nachgedacht wird. „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ ist das Motto, unter dem diese Neuerung verkauft wird. Ursprünglich war das ja eine Forderung der etablierten DGB-Gewerkschaften, die damit die sogenannten „gelben Gewerkschaften“ los werden wollten.  

DIE „GELBEN“ LOSGEWORDEN
Ein Beispiel ist die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM), die im Metallhandwerk Tarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden abgeschlossen hat, die deutlich unter dem Niveau der IG Metall lagen. Folgerichtig wurden dann die IGM-Tarife gekündigt und das Lohnniveau in diesen Bereichen damit drastisch gesenkt. Mit der Forderung „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ sind die DGB-Gewerkschaften damals auf taube Ohren gestoßen. Es folgten ellenlange Rechtsstreitigkeiten, in denen den (z.T. mit Unterstützung der Unternehmerverbände gegründeten) „Gelben“ die „Tariffähigkeit“ abgesprochen wurde – ganz schlicht, weil sie keine Mitglieder hatten oder so wenige, dass sie gar nicht in der Lage wären, eine Tarifauseinandersetzung zu bestehen.  


JETZT KOMMEN DIE „KLEINEN WILDEN“
Inzwischen hat sich die Szenerie aber gründlich gewandelt. Kleinere Gewerkschaften wie die der Lokführer, der Piloten, der Fluglotsen, der Ärzte usw. treten selbstbewusster auf und haben sich darauf besonnen, dass die Macht der Gewerkschaften im Zweifel mit einem Streik demonstriert werden kann (und muss). Und die anarchistische Gewerkschaft FAU hat mehr als einmal gezeigt, dass sie KollegInnen erfolgreich organisieren kann, wo die DGBGewerkschaften zum Jagen getragen werden müssen – im letzten Jahr z.B. bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, die gezwungen wurde, LeiharbeiterInnen fest einzustellen.

Natürlich agieren die kleinen Gewerkschaften vor allem dort erfolgreich, wo sie ein hohes Drohpotential haben, weil die organisierten KollegInnen eine Schlüsselstellung innerhalb des Betriebes haben. Das stört dann natürlich auch die idyllisch gleichförmige Routine der jährlichen Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeberseite und DGBGewerkschaften – man kennt sich ja z.T. seit Jahrzehnten.

Damit ist jetzt die Interessenlage der Arbeitgeber auch eine andere. Wo früher eine kleine Konkurrenzgewerkschaft geeignet war, die Kampfkraft der KollegInnen zu schwächen, wird heute über „englische Verhältnisse“ gejammert – also Verhältnisse, wie sie vor der Ära Thatcher in England sprichwörtlich waren. Und schon kommen Töne aus der Regierung, die nix anderes heißen als: „Ihr dürft euch in jeder Gewerkschaft organisieren, wie es das Grundgesetz vorsieht, aber zu sagen haben nur die Gewerkschaften, mit denen wir gut zurecht kommen“.

Fragt sich, warum die DGB-Gewerkschaften auf Konfrontationskurs zu den „Kleinen Wilden“ Gewerkschaften gehen. Sie sollten vielmehr – statt einen gewerkschaftlichen Grabenkrieg in den Betrieben zu entfachen – gemeinsame Sache zum Nutzen aller Beschäftigten machen und so die gut bezahlten SpezialistInnen, die an Schlüsselstellungen sitzen, in die Solidarität aller KollegInnen einbinden.  


NEUE UNÜBERSICHTLICHKEIT
Ach ja – noch eine Anekdote zum Schluss: während also auf Arbeitgeberseite jetzt die Forderung nach nur einer Gewerkschaft pro Betrieb populär ist, gibt es natürlich auch avantgardistische Ausnahmen. Im neuen Auslieferungszentrum von Sartorius und Zufall, das gerade in Göttingen am Siekanger eröffnet wurde, sitzen KollegInnen aus vier Betrieben im selben Büro, für die nicht nur unterschiedliche Betriebsvereinbarungen gelten, sondern auch drei verschiedene Tarifverträge aus dem Transportgewerbe, der IG Metall und der IG Chemie. Alles frei nach dem Motto: „Ich mag's unübersichtlich“.

Da kann man nur sagen: „Mach's, aber mach's mit (mit Betriebsrat und Gewerkschaft nämlich) und mach's zusammen.“