Über 1.300 von bundesweit insgesamt 6.700 Callcentern (mit über 520.000 Beschäftigten) sind externe Dienstleister, die im Auftrag von Firmen tätig sind. Durch dieses Outsourcing erhoffen sich die beauftragenden Unternehmen Einsparungen, die bekanntermaßen allzu oft zu Lasten der Beschäftigten gehen. Denn die externen Callcenter agieren in tarif-freier Zone und viele von ihnen übertrumpfen sich gegenseitig in einem Wettbewerb um die schlechtesten Arbeitsbedingungen und niedrigsten Löhne. Dieser extreme Druck auf die Callcenter-Beschäftigten führt zu Einschüchterung plus hoher Fluktuation, was wiederum solidarisches Handeln und gewerkschaftliche Organisierung erschwert.
Eines dieser Callcenter mit miesen Arbeitsbedingungen ist hier in Göttingen vertreten: die Invoco Helpline Communication GmbH (Arbeitsschwerpunkt Kabelnetzbetreiber und Telekommunikation) mit 350 Beschäftigten. Sie gehört zur Invoco Holding GmbH mit Zentrale in Hamburg und bundesweit insgesamt 9 Standorten plus neuerdings 2 weitere in Polen und Bulgarien.
Die Arbeitsbedingungen bei Invoco Göttingen bieten Stoff für jede Menge Negativ-Schlagzeilen: Stundenlohn um 7 Euro brutto. Für 1 Woche Urlaub werden 7 Urlaubstage fällig (also auch Sonntag!). Zu- oder Absage von Urlaubsanträgen häufig erst kurz vor Urlaubsbeginn. Unzureichende Arbeitsplatzausstattung wie z.B. flimmernde Uralt-Bildschirme und mangelhafte Bürostühle. Strenge, sekundengenaue Überwachung von Pausen-, Gesprächs- und sonstigen Zeiten. Bloßstellung von KollegInnen durch Maßregelung seitens der Vorgesetzten bei (angeblichen) Verfehlungen in aller Öffentlichkeit. Bei Krankmeldung schriftliche oder mündliche Drohungen bzgl. negativer Folgen für das Arbeitsverhältnis. Verzögerte Gehaltszahlung an krank geschriebene KollegInnen. Verweigerung von vereinbarten Sonderzahlungen und Überstundenausgleich. Fehlerhafte Provisionszahlungen, nicht kontrollierbar mangels Provisionsübersichten.
Einen Betriebsrat gibt es nicht. Versuche der gewerkschaftlichen Organisierung wurden bisher durch die Geschäftsführung im Keim erstickt, mittels Druck auf entsprechend „verdächtige“ KollegInnen. Bisher wirken zwar diese Einschüchterungen bei der Belegschaft: die Fluktuation ist hoch, denn wer gehen kann, geht (oder wird gegangen), und wer bleiben muss, schweigt aus Angst um den Arbeitsplatz.
Aber dass es auch anders gehen kann, zeigt aktuell ein erfolgreicher Streik in Halle: dort haben die Beschäftigten des Callcenters „S-Direkt“ (Callcenter aller Sparkassen bundesweit) mit der Unterstützung von ver.di nach über 3 Monaten Streik nun, Anfang November, den bundesweit zweiten Haustarifvertrag in einem externen Callcenter erkämpft.
Der Weg dahin war lang und steinig, und auch dort mussten die Beschäftigten mit dem Risiko leben, mittelfristig ihren Job zu verlieren. Aber mit ihrem in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Streik inklusive Aktionen in der Stadt, Flugblätter an PassantInnen u.ä. bauten sie nicht nur betriebsintern Druck auf den Arbeitgeber auf. Sondern sie machten öffentlich, dass Millionen von KundInnen deutscher Sparkassen ihr Konto bei einer Bank haben, die ihr Kundenservicegeschäft über ein ausbeuterisch agierendes Callcenter betreibt. Und das macht kein gutes Unternehmens-Image....
Auch Invoco kann kein schlechtes Image gebrauchen: wenn also Unternehmen, die mit diesem Callcenter arbeiten, sich von ihrer Kundschaft plötzlich mit peinlichen Fragen nach fehlenden Mindeststandards konfrontiert sehen, dann entsteht auch Handlungsdruck bei Invoco, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Und wenn es die Invoco-Beschäftigten zugleich schaffen, sich zusammenzuschließen und sich dann (gewerkschaftlich unterstützt) öffentlich zu wehren, kann es auch in Göttingen voran gehen!