Zur Erinnerung: Einerseits hatte die Uniklinik das Geschäftsjahr 2008 mit einem ausgeglichenen Betriebsergebnis abgeschlossen, wofür sich der Klinik-Vorstand ausführlich mit Eigenlob bedachte. Andererseits wird vom gleichen Vorstand immer wieder eine angebliche wirtschaftliche Notlage des Klinikums beschworen: trotz der “schwarzen Null” des Jahres 2008 bleibt noch ein Defizit in Höhe von etwa 50 Millionen Euro abzutragen, das sich in den Vorjahren angesammelt hatte. Den Beifall für die “schwarze Null” nahm der Vorstand gerne entgegen, obwohl er daran durchaus unschuldig gewesen war (siehe vorige Ausgabe des GBE). Der Abbau des alten Defizits dagegen soll weiterhin der Belegschaft aufgebürdet werden. Dass in den letzten zwei Jahren die Belegschaft um ca. 10% reduziert wurde (bei gleichzeitig steigenden Patientenzahlen), reichte der Klinikleitung nicht aus, sondern sie will auch ans Portemonnaie der Beschäftigten.
Personal soll Schuldendienst leisten
Im Herbst 2009 verlangte der Vorstand die Absenkung der untersten vier Lohngruppen in einem Volumen von 15% sowie eine Kürzung der Zahlungen an die betriebliche Rentenversicherung (VBL) um 50% und drohte andernfalls mit einer umfangreichen Privatisierung von Betriebsteilen, von der bis zu 700 KollegInnen betroffen sein sollten.
Zunächst gab es für diesen Vorstoß eine für die Klinikleitung wohl unerwartete Abfuhr: ver.di (als mitgliederstärkste Gewerkschaft der Hauptverhandlungspartner für den Arbeitgeber) lehnte die Absenkung der untersten Lohngruppen ab und war allenfalls bereit, über die Absenkung der VBL-Beiträge zu verhandeln. Dies aber geknüpft an die Bedingung, dass als Gegenleistung die in den Service-GmbHs Beschäftigten ins Klinikum überführt werden (und damit in den Geltungsbereich des Tarifvertrages der Länder/TV-L). Weitere Bedingung war, dass neue Outsourcing-Maßnahmen zu unterlassen seien.
Immerhin also ein Nein zur Lohngruppenabsenkung, aber in Anbetracht der stetig verschlechterten Arbeitsbedingungen für die KollegInnen dennoch ein eher verhaltener, vom Geist der “Sozialpartnerschaft” getragener Kompromissvorschlag, der sich bemühte, die widerstreitenden Interessen der Belegschaft und des Unternehmens auszugleichen.
Wie aber Sozialpartnerschaft und Co-Management belohnt werden, erfuhren die KollegInnen dann auf einer Betriebsversammlung in diesem Februar, auf der der Vorstand seinen “Generalentwicklungsplan Bau” vorstellte, der vorsieht, nunmehr beide Bettenhäuser abzureißen (bisher nur für Bettenhaus 1 geplant) und statt dessen einen neuen Bettenhausschlauch plus OP-Trakt in Ost-West-Richtung zu errichten; Kostenpunkt: mehrere 100 Millionen. Eine Menge Holz für ein angeblich wirtschaftlich notleidendes Unternehmen, aber, so Vorstandsmitglied Frau Schulte, man gehe davon aus, dass das Land Niedersachsen 90 Prozent der Kosten übernehme – auch wenn es bis jetzt eine entsprechende Zusage nur für den ersten Bauabschnitt gebe – und überdies befinde sich der Vorstand ja in Gesprächen mit ver.di bezüglich einer Absenkung der VBL-Beiträge....
Zwar können wir die langfristige Rentabilität dieser Baumaßnahme momentan nicht einschätzen. Dass aber mitten während der vom Vorstand wegen angeblicher wirtschaftlicher Notlage geforderten Tarifverhandlungen plötzlich satt gestiegene Neubaukosten präsentiert werden, ist nur als ein kräftiger Schlag ins Gesicht der Belegschaft zu verstehen, gegen den deutlicher Widerstand nötig wäre. Ca. 15 Millionen Euro beträgt der Klinik-Anteil für den ersten Bauabschnitt, und ca. 20 Millionen Euro bringt eine dreijährige VBL-Absenkung dem Arbeitgeber ein: auch wenn das Geld nicht einfach direkt zwischen zwei Kostenstellen verschoben wird, so drängt sich doch ein Zusammenhang zwischen (erweitertem) Bauvorhaben und Lohnabsenkung auf.
Zähe Verhandlungen
Die Tarifverhandlungen jedenfalls liefen weiter, wobei sich der Vorstand über Monate keinen Millimeter in seinen Vorstellungen bewegte. Dass auf ArbeitnehmerInnenseite dabei die mit verhandelnde, dem Beamtenbund nahe stehende Gewerkschaft GeNi nicht durch aktive Vertretung von Beschäftigteninteressen auffiel, sondern sich eher in ihrem ach so guten Verhältnis mit der Arbeitgeberseite gefiel, ist zwar nichts Neues, sondern ein eher altbekanntes Ärgernis für die KollegInnen. Aber warum blieb ver.di so leise, unauffällig und defensiv, anstatt in den Monaten des Verhandlungsstillstands zu versuchen, die von den drastischen Maßnahmen bedrohten Beschäftigten zu mobilisieren und Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben?
Erst in der zweiten Märzhälfte kamen von ver.di erste Signale in Richtung Warnstreik, mittels einer Beschäftigtenbefragung (“Bist Du bereit, die Standards an der Klinik mit deiner Teilnahme an einem Warnstreik zu verteidigen?“): Innerhalb nur einer Woche äußerten rund 600 KollegInnen ihre Streikbereitschaft – und die Hälfte davon sind keine ver.di-Mitglieder.
Ob ver.di Druck auf die Klinikleitung hätte aufbauen können, werden wir wohl nun nicht mehr erfahren, denn (eher unerwartet) legte die Klinikleitung eine Woche später in der 4. Verhandlungsrunde ihr erstes Angebot vor, welches die ver.di-Tarifkommission umgehend zur Annahme empfahl: Im Gegenzug für die dreijährige Halbierung der VBL-Beiträge ist der Vorstand bereit, auf Ausgründungen und Privatisierungen für sechs Jahre und auf betriebsbedingte Kündigungen für bis zu zwölf Jahre zu verzichten; die Rückführung der bereits ausgegründeten Betriebsteile insgesamt wird zwar weiter abgelehnt, aber er ist bereit, die 2009 ausgegründeten Beschäftigten der GastroGmbH wieder zur Uniklinik zurückzuführen.
Zwar ist noch nicht Alles gelaufen, denn die Vertragsentwürfe sehen vor, dass der ausgehandelte Tarifvertrag erst in Kraft tritt, wenn alle im Betrieb vertretenen Gewerkschaften einer der VBL-Absenkung entsprechenden Regelung zugestimmt haben. Ob dies der Marburger Bund, der nun erst mit einem halben Jahr Verspätung in die Verhandlungen mit dem Vorstand einsteigt, tun wird, ist offen. Die GeNi jedenfalls bejubelte das Arbeitgeberangebot nach allen Regeln der Kunst und bezeichnet es als großen Verhandlungserfolg. (Bemerkung am Rande: Eine Reihe von Kolleg/inn/en wechselte in den letzten zwölf Monaten zur GeNi, wegen Unzufriedenheit mit mangelnder gewerkschaftlicher Unterstützung durch ver.di. Wieso sie ihre Hoffnungen stattdessen in eine Gewerkschaft mit arbeitgeberfreundlichem Schmusekurs setzten, erschloss sich uns nicht. Ihre Erwartungen an die GeNi haben sich nun jedenfalls sehr schnell zerschlagen.)
Gemischte Gefühle
Dass aber die ver.di-Tarifkommission sogleich die Annahme dieses ersten Arbeitgeber-Angebotes seit Verhandlungsbeginn empfahl, verwundert auf den ersten Blick, denn das aufgestellte Ziel, die ausgegründeten Bereiche wieder in den Geltungsbereich des TV-L zurückzuführen, scheint verfehlt. Den Einwand, immerhin würden die Beschäftigten der GastroGmbH in die UMG zurückgeführt, können wir hier nicht gelten lassen, denn tatsächlich waren diese, wie bereits im GBE berichtet, trotz Ausgründung auf dem Papier weiter vom Klinikum nach TV-L bezahlt worden, da die faktische Überführung in die GastroGmbH eine drastische Strafzahlung der VBL nach sich gezogen hätte. In diesem Punkt wurden also dem Vorstand keine Zugeständnisse abgerungen, sondern eher Frau Schulte ein Rückzug ohne Gesichtsverlust ermöglicht.
Der Ausschluss von Outsourcing-Maßnahmen für sechs Jahre und von betriebsbedingten Kündigungen für bis zu zwölf Jahre mag zunächst gut aussehen; es stellt sich allerdings die Frage: wem nützt es? Sicher nicht den ca. 40 Prozent Beschäftigten, die sich von Befristung zu Befristung hangeln – die muss der Arbeitgeber nicht kündigen, um sie in eine Service-GmbH zu überführen, sondern muss nur warten, bis die jeweiligen Arbeitsverträge (mal wieder) auslaufen. Umgekehrt genießen die langjährig Beschäftigten, die ebenfalls einen großen Anteil der Belegschaft ausmachen, einen relativ umfassenden Kündigungsschutz gemäß §34.1 TV-L. Profitieren würde von diesen Regelungen also nur die kleine Minderheit derjenigen, die zwar unbefristete Arbeitsverträge haben, aber noch nicht lange genug im Betrieb sind, um die Voraussetzungen für die Schutzvorschriften des §34.1 zu erfüllen.
Noch fragwürdiger wird es bei genauerer Betrachtung dieser Regelungen im Vertragstext, denn dieser nimmt Maßnahmen, “bei denen keine Folgewirkungen auf die vorhandenen Beschäftigten entstehen”, explizit vom Outsourcing-Verbot aus – es bleibt dem Vorstand also unbenommen, das System der Service-GmbHs auszubauen und Beschäftigte, deren Vertrag ausläuft, danach in einer der GmbHs anzustellen. (Eine Anekdote am Rande: auch im Uniklinikum Schleswig-Holstein hatten Frau Schulte und ver.di seinerzeit einen Deal “Lohnverzicht gegen Outsourcing-Verbot” gemacht; laut ver.di-Infodienst Krankenhäuser fühlt sich der Vorstand des UKSH daran aber nicht gebunden, sondern plant die Überführung “leistungsgeminderter Beschäftigter” in eine Service-GmbH; Begründung: es handele sich nicht um eine “materielle Ausgründung”.)
Und auch das Verbot betriebsbedingter Kündigungen hat es in sich – der Tarifvertrag (TV) sieht nämlich ein definitives Kündigungsverbot nur für die Laufzeit von drei Jahren vor. Zwar wird für diese Regelung im TV eine Nachwirkung von weiteren neun Jahren festgeschrieben; diese käme aber nur zum Greifen, wenn nach Auslaufen des TV in 2016 keine neue tarifliche Regelung erfolgt. Tatsächlich haben aber die Vertragsparteien bereits vereinbart, dass vor dem Auslaufen des TV neu verhandelt wird: nämlich zum Ende der für 3 Jahre vereinbarten 50%igen VBL-Kürzung...
Andererseits scheint aber mit diesem Ergebnis immerhin die Absenkung der unteren Lohngruppen nach §15.3 TV-L vom Tisch? Jein: denn eine entsprechende Klausel fehlt im Tarifvertrag; gleichzeitig wird im Vertrag die Anwendung des TV-L ohne Einschränkungen, also inklusive Lohnabsenkungsklausel, vereinbart. Zur Erinnerung: der TV-L wurde 2006 zwischen ver.di/GeNi und der Tarifgemeinschaft der Länder abgeschlossen; die Uniklinik ist als Stiftung zwar nicht Mitglied in der TdL, aber via Nds. Hochschulgesetz und Stiftungsverordnung zur Anwendung des TV-L verpflichtet; für die Gewerkschaften ergaben sich daraus aber keinerlei Verpflichtungen.
Was übrigens auch bedeutet, dass ver.di sich mit der jetzt akzeptierten Tarifeinigung die bisher nicht geltende Friedenspflicht ans Bein bindet.
Der Dritte Weg
Wie wir es auch drehen: es gelingt uns nicht, einen ausreichenden „Gegenwert“ zur 20 Mio. Euro schweren VBL-Senkung zu erkennen. Letztlich ist dies tatsächlich doch ein Absenkungsvertrag, es wird erstmals die VBL angetastet, und das auf Grundlage des selbst mit ausgehandelten Tarifabschlusses aus 2006. Unter Anderem diese Geschichte hat in den Folgejahren viele pfiffige und kampfbereite Köpfe vertrieben. Wenn ver.di heute auf schlechte Mobilisierbarkeit der Belegschaft verweist, so sind es hier leider teilweise auch hausgemachte Probleme. Die Frage muss doch dann erst recht sein: wie lässt sich Mobilisierung (wieder) herstellen in schwierigen Zeiten? Zwar können auch wir an dieser Stelle keine Lösung aus dem Hut zaubern. Aber wie schon im Artikel zur Tarifrunde 2010 beschrieben überrascht uns auch hier beim Klinikum, dass ver.di so schnell dem Arbeitgeberangebot zustimmt. Gab es wirklich keine andere Handlungsoption, als die VBL-Absenkung zu diesen Bedingungen sofort zu akzeptieren? Statt einer Ablehnung mit im Zweifel aktuell nicht durchsetzbaren höheren Gegenforderungen wäre durchaus ein dritter Weg denkbar gewesen: nämlich gar nicht reagieren und den Vorschlag der Arbeitgeberseite mit Nichtachtung strafen. Dann wäre der vorige Status Quo unverändert geblieben. Zugegeben: die Arbeitgeberdrohung weiterer Privatisierung würde dann fort bestehen. Ob, wann und welche Bereiche der Klinikvorstand aber tatsächlich ausgliedern würde, wäre abzuwarten, und im konkreten Fall könnte ver.di den Widerstand der Beschäftigten gegen konkrete Arbeitgebermaßnahmen organisieren. Diese „dritte Option“ erscheint uns als akzeptable Mischung zwischen zu zaghaft und zu forsch, scheint aber von Anfang an gar nicht als strategische Überlegung im Spiel gewesen zu sein.
In der Vergangenheit ist jedenfalls deutlich geworden, dass die Existenz von Öffnungsklauseln, wie sie der TV-L enthält, erst recht die Begehrlichkeiten des Arbeitgebers wecken. Wenn nun diesen Begehrlichkeiten ohne weiteres nachgegeben wird, ist absehbar, dass sehr bald die Forderung nach einem Nachschlag hinterher kommen wird, um sich statt Abbau des Defizits den Neubau durch die Belegschaft finanzieren zu lassen, dessen Kosten in keinem Verhältnis stehen zu den zu erwartenden Einsparungen.
Denn selbst, wenn die wackelige Kalkulation des Vorstandes aufgehen sollte – woher sollte ein Betrieb, der es seit Jahren nicht fertigbringt, ein Defizit von 50 Millionen abzubauen, die notwendigen Neubau-Millionen herzaubern? Und was ist da naheliegender, als erneut die Beschäftigten zur Kasse zu bitten, wenn das schon einmal gut hingehauen hat?