die Stümperei geht weiter
In unserer vorigen Ausgabe (die leider schon länger zurückliegt, als uns selbst lieb ist) waren etliche der anstehenden Gesetzesänderungen, die im Wesentlichen durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Februar 2010 über die Verfassungsrechtmäßigkeit der Regelbedarfssätze nötig wurden, noch nicht beschlossen worden.
Inzwischen wissen wir einiges mehr und genauer. Die meisten Änderungen wurden präzisiert und das Bildungspaket eingeführt.
Dazu hat die Bürgerarbeit, über deren Anfänge wir in der Nr. 189 ebenfalls berichteten, Form angenommen bzw. ist schon wieder beendet. Etwas mehr Geld gab es auch, aber nur 2010 für alle Altersgruppen. Bei der letzten Erhöhung zum 1.1.2011 schon nicht mehr. Wie viele es befürchtet hatten.
Der Nebel hat sich gelichtet
Fangen wir mit den inzwischen präzisierten Gesetzesänderungen an:
Das Bundesverfassungsgericht hatte der Politik in seinem Urteil eine Frist bis Ende des Jahres 2010 gesetzt, um alle notwendigen Änderungen umzusetzen. Frau von der Leyen versprach sofort, gleich nach der Sommerpause sei alles getan. Nun, letztlich wurden die meisten Änderungen erst im April 2011 beschlossen. Etliche rückwirkend zum 1.1.2011.
Das merkwürdig herumeiernde Urteil des BVerfG, dass zwar alle Regelsätze verfassungswidrig seien, aber wenn einige Änderungen durchgeführt und bei den Begründungen nachgebessert werde, sei es vielleicht doch nicht so, hinterließ viel Ratlosigkeit. Etliche Menschen erhofften sich deutlich mehr Geld, z. B. auch Hilfe bei z. B. Zahnersatz und Brillenbeschaffung; andere befürchteten, dass evtl. sogar noch Verschlechterungen (auch bei den Regelsätzen) möglich wären. Leider hatten Letztere recht.
War da nicht noch einiges mehr als….
Was uns (sehr unangenehm) auffiel, war, dass quer durch alle Medien lang und breit über die vorletzte Erhöhung von 5 Euro für alle Altersgruppen bei den Regelsätzen und über das Bildungspaket berichtet wurde. Kein Wort aber über ein gutes Dutzend weiterer Gesetzesänderungen, die fast alle Verschlechterungen für die Betroffenen beinhalteten. Mensch fragt sich schon, ob die meisten BerichterstatterInnen zu faul oder nicht in der Lage sind, wichtige Details in einer umfangreichen Gesetzesänderung zu erfassen und einzuschätzen.
Die wichtigsten dieser nicht berichteten Änderungen sind:
- Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten, die bisher (bis zu 175 Euro pro Monat) nicht als Einkommen gewertet wurden, werden nun voll angerechnet.
- Bezahlungen an Tagesmütter und pflegende Personen sind nun ebenfalls Einkommen und mindern die ausgezahlte Leistung.
- In Notsituationen können zinslose Darlehen zusätzlich zu der Leistung von der Behörde bewilligt werden. Bisher war das allgemeine geschonte Vermögen (Mindestbetrag 3.850 Euro für Minderjährige oder 150 Euro pro Lebensjahr) weiterhin geschont. Nun muss es erst aufgebraucht werden. Ist keines da und wird deshalb ein Darlehen gewährt, das auch nach 6 Monaten noch nicht zurückgezahlt werden kann, wird das Darlehen als Einkommen gewertet und ab dem 7. Monat verrechnet.
Eine ganz gefährliche Sache: die einzelnen Kommunen (Städte/Landkreise) können beim Bundesland beantragen bzw. vom diesem dazu verpflichtet werden, eine eigene Satzung für die Kosten der Unterkunft zu erstellen. In dieser Satzung kann dann jede Kommune alles ummodeln. Die angemessenen Zahlen sowohl für die Quadratmeter wie auch für die Miet- und Nebenkostenhöhe und sogar die Pauschalierung der Heizkosten soll wieder möglich sein. Gegen viele dieser Vorgehensweisen gibt es rechtskräftige Bundessozialgerichtsurteile. Das soll so unterlaufen werden. Und in Hessen betreibt inzwischen die Landesregierung genau das und will alle Kommunen verpflichten, eine solche KdU-Satzung zu erstellen. Auch in NRW wird das diskutiert.
- Wer mit Entscheidungen und Bescheiden der Behörde nicht einverstanden ist, legt innerhalb von 30 Tagen einen Widerspruch ein. Wer diese Frist versäumt oder erst später feststellt, das etwas nicht stimmt, kann einen Überprüfungsantrag an die Behörde stellen, der bisher bis zu 4 Jahren rückwirkend zu Änderungen und also auch Nachzahlungen führen kann. Diese Frist ist auf 1 Jahr verkürzt worden.
Das sind noch nicht alle Änderungen. Belassen wir es dabei. Wir wollen aber auch fair sein. Es gibt ganze 2 Änderungen, die positiv sind:
- Neben den 100Euro Freibetrag, die jede/r bekommt, der/die Erwerbsarbeit ausübt, folgte dann ja ein weiterer Freibetrag von 20 Prozent von 101 bis 800 Euro. Diese Obergrenze wurde bis auf 1000 Euro erhöht.
- Wenn ein Antrag auf ALG II gestellt wird, galt dieser bisher genau vom Tage der Antragstellung an. Nun gilt er rückwirkend vom 1. des Monats, in dem er gestellt wird.
…..5 Euro mehr…
Das BVerfG hatte auch geurteilt, dass die möglichen Erhöhungen der Regelbedarfe nicht mehr an die Rentenentwicklung gekoppelt sein sollten. Welches Modell an diese Stelle treten sollte, ließ es offen. Es empfahl eine Mischung aus Lohn- und Preisentwicklungsdaten. Das ist auch so gemacht worden. Eigentlich hätten ja die meisten hier erwartet, dass die Lohnentwicklung als größerer Prozentsatz genommen würde, da diese sich in den letzten Jahren nicht oft verbessert hat – die Erhöhung wäre dann kleiner ausgefallen. Die Preise hingegen steigen ja unaufhörlich und könnten zu einer stärkeren jährlichen Erhöhung beitragen. Aber nein. Beschlossen wurde ein 70/30-Modell, wobei zu 70 Prozent die Preisentwicklung und nur zu 30 Prozent die Lohnentwicklung einfließt. Aber: die Bundesregierung verkündete denn doch, dass sie bei der Berechnung der Preisentwicklung nicht einfach 70 Prozent nimmt, sondern ein eigenes Berechnungsmodell entwickelt. Da wird es sich lohnen, wieder genauer hinzusehen.
Jedenfalls wird es jetzt jedes Jahr zum 1.1. eine Anpassung der Regelbedarfe geben.
Und siehe da: hatte Frau von der Leyen bei der vorletzten Erhöhung 2010 nach dem BVerfG-Urteil noch allen Altersgruppen die 5 Euro zugestanden und dieses als Bestands- und Vertrauensschutz für die jüngeren Altersgruppen verkauft, bekamen nun nicht mehr alle Altersgruppen die 10 Euro Erhöhung zum 1.1.2012. Einige bekamen weniger, einige gingen dieses Mal ganz leer aus. Wir hatten es kommen sehen.
Der Grund dafür ist, dass bei der neueren Berechnungsgrundlage für die Regelbedarfe (eine neuere EVS=Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2008) noch mehr Haushalte mit geringem Einkommen einbezogen wurden als bei der vorigen. Da das ein wesentlicher Punkt war, der mit zu dem BVerfG-Urteil führte, versuchen die KlägerInnen den erneuten Gang vors BVerfG. Dieses Mal unterstützt von Juristengruppen (unabhängige Juristenvereinigung u. a.).
…und das Bildungspaket
Schauen wir uns abschließend zu diesem Gesetzesänderungswust denn noch mal das Bildungspaket genauer an:
- Übernahme der Kosten für mehrtägige Klassenfahrten. Das ist keineswegs neu. Es stand bisher im Gesetz nur an anderer Stelle, bei den Einmalleistungen. Im Gesetzesänderungspaket wurde auch die Übernahme eintägiger Klassenfahrten beschlossen. Das ist neu.
- Lernmittelbeihilfe von 100 Euro jährlich pro Schulkind. Auch das ist kein neuer Leistungsbereich. Er war schon vorher dazu gekommen, als klar wurde, dass für Bildung im Regelsatz eigentlich nichts eingeplant war. Heißt nun Schulbasispaket für Schulmaterialien und ist zahlbar 70 € zum 1. August sowie 30 € zum 1. Februar. Erstmalig gezahlt am 1. Aug. 2011.
- Schülerbeförderung In tatsächlicher Höhe für erforderliche Kosten zur nächstgelegenen Schule und wenn die Aufwendungen nicht aus dem Regelbedarf bestritten werden können. Das ist geändert, aber auch nicht neu.
- Lernförderung, soweit geeignet und zusätzlich erforderlich zur Erreichung der durch schulrechtliche Bestimmungen festgelegten Lernziele. Auf deutsch: Nachhilfe. Wobei der Anbieter gecheckt wird, die LehrerInnen dazu Stellung nehmen sollen etc. Das ist der erste echte neue Leistungsbereich in diesem Bildungspaket.
- Zuschuss zu Mahlzeiten in Schule und Kita. Bei von Schule oder Kita angebotener Mittagsverpflegung ein Zuschuss zu Verpflegungskosten mit Eigenanteil von einem Euro. Das ist auch neu, aber: in Schulen und Kitas, wo es bisher keine Verpflegung gab, gibt es auch weiterhin keine!
- Leistungen zur gesellschaftlichen Teilhabe in Höhe von 10 EUR monatlich für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, Unterricht in künstlerischen Fächern (z.B. Musikunterricht) oder vergleichbare angeleitete Aktivitäten der kulturellen Bildung und Teilnahme an Freizeiten für Leistungsberechtigte bis Vollendung des 18. Lebensjahres. Das ist ebenfalls neu, aber: wie weit kommt mensch mit 10 Euro im Monat für diese vorgesehene Teilhabe? Dazu ein Beispiel: die Mitgliedschaft in einem Reitverein kostet monatlich im Durchschnitt 50 bis 60 Euro. Und auch in Sportclubs wie Fußballvereinen werden die 10 Euro wohl nicht mal für den Mitgliedsbeitrag reichen.
Fazit: eine Mogelpackung, bestehend zur Hälfte aus schon bestehenden (nur umbenannten bzw. umgruppierten) und zur anderen Hälfte aus fast ausschließlich unzureichenden Leistungen.
Die Annahme des Bildungspaketes verläuft bis heute schleppend. Deshalb machten die Job-Center sozusagen Werbung und die Fristen für die Beantragung rückwirkender Leistungen (teilweise ohne konkreten Nachweis) wurden verlängert bis 30.6.2011. Sagte Frau von der Leyen. Aber die meisten Behörden wollten eben doch jeden Beleg sehen!
Übrigens: die Leistungen gibt es auch bei Wohngeldbezug.
Nach langem Hin und Her war im Verlaufe des letzten Jahres auch endlich klar, wer denn nun eigentlich diese Leistungen bearbeitet. Die Einführung einer Chipkarte wurde gecancelt. Dann versuchte man, die Jugendämter damit zu beauftragen. Die winkten dankend ab. Jetzt machen es die SachbearbeiterInnen im Job-Center bzw. in der Wohngeldstelle, wenn Wohngeld bezogen wird.
Bürger, zur Arbeit….
Nachdem die ABMs (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) abgeschafft wurden, die 1-Euro-Jobs von Anfang an in der Kritik standen (auch mehrfach vom Bundesrechnungshof), ersann das Arbeitsministerium die Bürgerarbeit.
Bundesweit sollten von rund 160.000 Langzeitarbeitslosen etwa 34.000 eine solche Bürgerarbeitsstelle bekommen bzw. finden. Der erste Wahnsinn war die Annahme bzw. Behauptung, dass alle anderen durch verstärkte Unterstützung (Bewerbungstraining?) in reguläre Arbeitsstellen vermittelt werden sollten. Wie viele das wohl geschafft haben?
Die anderen sollten dann einen Bürgerarbeitsplatz bekommen, der Kriterien wie Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit erfüllen soll. Nur die Hälfte aller Job-Center in Deutschland ist beteiligt. Göttingen bewarb sich und bekam die entsprechenden Bundesmittel.
Nach Angaben von Kreisrätin Christel Wemheuer geht es im Landkreis Göttingen um rund 12,5 Millionen Euro in drei Jahren. 200 Stellen für begleitende Bürgerarbeit würden ab Januar 2011 eingerichtet. Es gehe beispielsweise um Serviceangebote an Schulen, Arbeiten in Sportstätten, Museen, Bibliotheken oder Verschönerungsarbeiten im touristischen Bereich. In einem Lenkungsausschuss sind unter anderem auch DGB und Handelskammer beteiligt. Das Projekt wird von der Kreisvolkshochschule in Kooperation mit der städtischen Beschäftigungsförderungsanstalt durchgeführt.
Jede einzelne Stelle muss vom Bundesverwaltungsamt in Köln abgesegnet werden.
…….zur Sonne?
Inzwischen sind die Maßnahmen schon wieder beendet. Etliche fanden einen solchen Platz, der in der Regel mit 900 Euro Arbeitnehmerbrutto für 30 Stunden Wochenarbeitszeit ausge-stattet wird (freiwillig darf auch mehr seitens des Arbeitgebers bezahlt werden, z. B. nach Tarif, wenn es einen gibt. Nun ja). Nach einigem Hin und Her war irgendwann klar, dass alle entweder Wohngeld oder ergänzendes Arbeitslosengeld II beantragen können. Beim ergänzenden ALG II bleiben sie zwar im Einfluss der Behörde, aber können wenigstens netto deutlich mehr bekommen als ihre bisherigen Leistungen bei 30 Stunden zusätzlicher Arbeit (bei Wohngeldbezug wird es etwas weniger sein). Schlimmstenfalls können sie allerdings weiterhin mit Eingliederungsvereinbarungen und Bewerbungsschreiben traktiert werden. Noch gibt es hier keine Erfahrungsberichte dieser Art.
Auf jeden Fall läuft diese Förderung 2, maximal 3 Jahre. Ob und wie viele dieser „Bürgerarbeiter“ dann übernommen werden, da kann mensch getrost auch skeptisch bleiben.