Geht es nach dem Willen von SPD und Grünen soll in den nächsten Jahren ein neuer Großkreis aus den bisherigen Kreisen Göttingen, Northeim und Osterode gebildet werden. Dieser neue Großkreis würde rund 3.000 km² umfassen, was in etwa das Dreifache des derzeitigen Kreises Göttingen wäre und hätte rund 475.000 Einwohner gegenüber 260.000 im bisherigen Kreis. In den drei Kreisen und im Göttinger Stadtrat verfügen die fusionswilligen Parteien SPD und Grüne über stabile Mehrheiten. Während DIE LINKE und die CDU im Göttinger Kreistag die Fusion ablehnen, haben Piraten und Freie Wähler dazu keine klare Position, befürworten aber einen Bürgerentscheid über die Fusion.

Nachdem bei der Kommunalwahl 2011 der neue Göttinger und frühere Osteröder SPD-Landrat Bernhard Reuter gewählt und sich im Kreistag SPD und Grüne als neue Mehrheitsgruppe gebildet hatten, hatte die Fusionsdebatte Fahrt aufgenommen. Seit Juni 2012 finden nunmehr Fusionsverhandlungen statt.
Bis zum 31. März 2013 soll bei einem positiven Verhandlungsergebnis die Fusionsentscheidung durch die drei Kreistage erfolgen. Bis September hatte der Kreis Osterode Parallelverhandlungen mit dem Kreis Goslar geführt, da dort eine Bürgerbewegung existiert, die einen Zusammenschluss mit Goslar gegenüber der Südniedersachsenlösung präferiert. Anders als in den Kreisen Göttingen und Northeim, wird der Kreis Osterode allein für nicht lebensfähig gehalten. Bis Ende März 2013 könnte noch fristgerecht ein Antrag auf Entschuldungshilfe beim Land Niedersachsen gestellt werden. Abgesehen davon, dass niemand genau weiß, in welcher Höhe und ob überhaupt eine Schuldenübernahme erfolgen kann, wäre dafür ein so genannter Zukunftsvertrag erforderlich. Ein Großkreis müsste dann in den ersten Jahren seiner Existenz womöglich ähnliche Sparauflagen wie die Stadt Göttingen erfüllen, was nur über einen massiven Stellenabbau, Privatisierungen und Einsparungen bei den Zuschüssen für soziale, kulturelle, ökologische Einrichtungen sowie für Bildung, Sport und Freizeit erreicht werden kann.

 

WIE BETRIFFT DIE FUSION DIE STADT GÖTTINGEN?
Die Stadt Göttingen hat in einzelnen Bereichen die Funktion einer kreisfreien Stadt, in anderen aber nicht. So sind die Berufsschulen Kreisangelegenheit, aber nicht die allgemeinbildenden Schulen ab Klasse 5. Auch das städtische Jobcenter befindet sich unter der Oberhoheit des Landkreises. Eine grundlegende Änderung des Status der Stadt Göttingen zwischen Kreisfreiheit und Kreisangehörigkeit ist nicht vorgesehen. Im Raum steht allerdings die nach wie vor umstrittene Regelung eines Finanzausgleichs zwischen Stadt und Kreis. Durch die jetzt geplante Erhöhung der von Städten und Gemeinden an den Kreis zu zahlenden Kreisumlage, dürfte ein Ausgleich noch schwieriger geworden sein. Dessen Regelung ist von Seiten der Kreise Osterode und Northeim eine Bedingung für die Fusion. Offen ist auch, inwieweit die Rechte der Stadt Göttingen noch ausgeweitet werden können.

 

ARBEITSPLATZVERLUST DURCH GROSSKREIS
Das Hauptziel der Fusion sind Kosteneinsparungen und somit ein massiver Stellenabbau in der öffentlichen Verwaltung. Auch wenn betriebsbedingte Kündigungen möglichst vermieden werden sollen, so könnten in Northeim und Osterode bis zu einem Viertel der Stellen, also über 250 Arbeitsplätze wegfallen. In unserer strukturschwachen Region würde also die öffentliche Verwaltung als Arbeitgeber für junge oder erwerbslose Menschen weitgehend ausfallen. Auch die bisherigen Ausbildungsplätze sind gefährdet.

 

LÖSUNG VON STRUKTURELLEN PROBLEMEN DURCH FUSION?
Mit der Fusion wären die strukturellen Probleme aller Kreise, nämlich dass die Einnahmen nicht mehr ausreichen, um die Pflichtaufgaben zu erfüllen, nicht gelöst. Diese können nur dadurch gelöst werden, dass grundsätzlich ein höherer Steueranteil den Kommunen, also Kreisen und Gemeinden zufließt. In den letzten dreißig Jahren hatte der Anteil der Kommunen am Steueraufkommen rapide abgenommen.
Einzelne Angelegenheiten wie der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) und die Abfallentsorgung sind bereits heute durch Zweckverbände der drei Kreise gelöst. Der Einfluss der gewählten Kreistagsabgeordneten ist vor allem beim ÖPNV gleich Null, da dieser außerhalb der Stadtgrenzen Göttingens privat betrieben wird. Diese Aufgaben könnten besser durch kommunale Unternehmen wahrgenommen werden. Alle anderen Parteien hatten einen Antrag der LINKEN auf Rekommunalisierung des ÖPNV abgelehnt.

 

GROSSKREIS VERFASSUNGSGEMÄSS?
Stabile Mehrheiten und eindeutige Beschlüsse bedeuten aber noch lange nicht, dass dieser Großkreis auch so zu realisieren sein wird.
Das Landesinnenministerium formulierte in einem Gutachten verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen Großkreis. Dieser wäre von seiner Einwohnerzahl und Flächengröße nicht mehr überschaubar. Es „wären Nachteile für die bürgerrechtlich-demokratische Prägung kommunaler Selbstverwaltung zu erwarten.“ Sicherlich ist Skepsis gegenüber einem Innenminister angesagt, der beispielsweise durch seine Abschiebepolitik Menschenrechte von Flüchtlingen mit Füßen tritt und die finanziellen Spielräume von Kommunen immer mehr bis hin zur Handlungsunfähigkeit beschnitten hat, was ihn als Hüter von kommunaler Demokratie natürlich völlig disqualifiziert.
In diesem Falle greift das Ministerium jedoch Bedenken auf, wie sie auch von eher linken Fusionsgegnern immer wieder formuliert werden. Brisant für die Realisierung des Lebenstraumes des Landrates Bernhard Reuter dabei ist, dass das Land Niedersachsen einem solchen Großkreis und auch einer Entschuldungshilfe zustimmen muss. Dies erscheint bei der jetzigen Landesregierung und den derzeitigen Mehrheiten ziemlich ausgeschlossen. Es sind zwar im Januar Wahlen, aber die notwendigen Entscheidungen würden nur knapp nach den Wahlen fallen müssen. Die Verfassungsmäßigkeit wird natürlich von Seiten des Landrates und der Fusionsfans anders gesehen.
Das Problem einer fehlenden Überschaubarkeit hatte in Mecklenburg Vorpommern im Jahre 2007 dazu geführt, dass die damalige Gebietsreform durch das Landesverfassungsgericht als nicht verfassungsmäßig erklärt wurde. Die Kreise müssen hiernach so gestaltet sein, dass es ihren Bürger_innen möglich ist, nachhaltig und zumutbar ehrenamtliche Tätigkeit im Kreistag und seinen Ausschüssen zu entfalten. Auch im Gutachten des Prof. Hesse wird die Gefahr gesehen, dass „eine sehr große und möglicherweise bürgerschafts- und beteiligungsfremde Einheit“ entsteht. Immerhin wäre der neue Kreis mit rund 3000 km² der größte Flächenkreis in der alten Bundesrepublik. Nur in den vergleichsweise dünn besiedelten Bundesländern Brandenburg und erst nach einer erneuten Kreisreform in Mecklenburg-Vorpommern gibt es größere Flächenkreise. Diese verfügen aber jeweils über deutlich geringere Einwohnerzahlen als die heute 475.000 Einwohner des geplanten Fusionskreises, der flächenmäßig immerhin größer wäre als das Saarland.
Es ist also damit zu rechnen, dass die Fusion, selbst wenn eine neue Landesregierung diese genehmigen sollte, vom Landesverfassungsgericht überprüft werden muss.
Ein juristisches Scheitern der Kreisfusion wird wahrscheinlicher, wenn deutlich wird, dass diese keineswegs von den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird.

 

BÜRGERBETEILIGUNG - FEHLANZEIGE
Die Kreisfusion ist umstritten. Noch ist in den Köpfen der Menschen die alte Gebietsreform aus den siebziger Jahren nicht wirklich verkraftet worden, weiterhin haben die Altkreise große Bedeutung für die Menschen. Dies zeigt sich auch daran, dass auch in den Altkreisen Münden und Duderstadt viele ihre alten Autokennzeichen wieder haben wollen.
Ein erneuter solch tiefgreifender Schritt sollte in einer Demokratie durch die Bürgerinnen und Bürger legitimiert sein. Eine echte Bürger_innenbeteiligung und offene Informationspolitik ist von Seiten der Mehrheitsfraktionen offensichtlich nicht gewünscht. So soll es in einem von der privaten Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst entworfenen Fragebogen für eine repräsentative Umfrage vor allem darum gehen, die Relevanz der Landkreise
für die Menschen festzustellen. Eine Frage, was die Menschen von der Fusion halten, ist nicht vorgesehen, allenfalls, ob diese Nachteile oder Vorteile durch eine Fusion erwarten. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass „wissenschaftlich“ belegt werden soll, dass die Kreisfusion die Menschen nicht interessiert.

Auch darf man gespannt sein, wie die geplanten Informationsveranstaltungen aussehen sollen. Vielleicht so ähnlich wie die zum Zukunftsvertrag für die Stadt Göttingen, also reine Alibiveranstaltungen?
Es muss den Mehrheitsfraktionen und dem Landrat offensichtlich gezeigt werden, dass sich die Menschen sehr wohl für die Folgen einer Kreisfusion interessieren!

 

WIDERSTAND TUT NOT!
In allen drei Landkreisen gab und gibt es Bürgerbegehren gegen die Fusionsbildung. Während im Kreis Göttingen bis Dezember noch Unterschriften gesammelt werden können, ist dies in Osterode und Northeim abgeschlossen. Während in Osterode die notwendigen Unterschriften – nämlich zehn Prozent der Wahlberechtigten – für einen Bürgerentscheid vorliegen, wurde das Quorum in Northeim nicht erfüllt. Im Kreis Osterode wird jetzt am 2. Dezember ein Bürgerentscheid stattfinden. In Göttingen läuft noch bis Mitte Dezember die Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren.
Die Kreisfusion ist gestoppt, wenn bei einer Wahlbeteiligung von 25% mehr als die Hälfte der Bürger_innen gegen die Fusion stimmen.     Eckard Fascher